Die Tätigkeitstheorie wurde von A. N. Leontjew entwickelt und stellt einen der Grundpfeiler der wissenschaftlichen Arbeitspsychologie dar. Sie dient zur Beschreibung, Erklärung, Analyse und Gestaltung von menschlicher Arbeitstätigkeit. Besonders geeignet ist sie, die Zusammenarbeit in Organisationen, den Wissensaustausch und die Entstehung von neuem Wissen (Innovation) in Organisationen zu analysieren und zu gestalten. Wissen liegt im Sinne der Tätigkeitstheorie nicht nur "in den Köpfen" der MitarbeiterInnen, sondern auch in den Tätigkeiten selbst. Eine Tätigkeit besteht immer aus:
- einem handelnden Subjekt (einer Person oder einem Team oder einer ganzen Organisation),
- einem Gegenstand der Handlung, der in ein Produkt/Ergebnis umgewandelt wird (z.B. das Problem in eine Lösung) sowie
- Kontextelementen, die entscheidend für die Tätigkeit sind:
- formale und informelle Regeln in der Organisation (dazu gehören Richtlinien und Vorschriften, aber auch die Unternehmenskultur und implizite (unbewusste) Annahmen darüber, wie man Dinge in dieser Organisation tut),
- die Organisationsstruktur, -prozesse und die Arbeitsteilung (z.B. welche Abteilung ist wofür zuständig),
- die Community, d.h. alle direkt oder indirekt an der Tätigkeit beteiligten Personen (TeamkollegInnen, Vorgesetzte, KundInnen, Stakeholder...) und
- die Arbeitsmittel, d.h. alle expliziten Werkzeuge wie z.B. Computer, eine bestimmte Software, Besprechungstische usw. sowie alle impliziten Fertigkeiten und Wissen der handelnden Personen (z.B. die Gesprächsführungsfähigkeit der KundenbetreuerIn, das Know How der ControllerIn, das Erfahrungswissen der ProduktionsmitarbeiterIn usw.)
Die Tätigkeitstheorie steht in der Tradition der kulturhistorischen Schule, die von L. Wygotski entworfen wurde. Kulturhistorische Schule heißt diese theoretische Strömung, weil der Mensch nicht nur in sein aktuelles Verhalten zerlegt oder aus seinen biologischen Trieben heraus erklärt wird, sondern weil die persönliche, aber auch die Kulturgeschichte eines Menschen und ganzer Menschengruppen in das Verstehen menschlicher Handlungen einbezogen wird. Insofern wird nicht nur ein einzelner Mensch analysiert, sondern vor allem die wechselseitigen Beziehungen von Menschen untereinander, aber auch von Menschen mit dem, was sie umgibt (die Umwelt, die Artefakte, mit denen sie umgehen, usw.).
Philosophischer Bezugsrahmen
Die Tätigkeitstheorie baut auf den philosophischen Grundpositionen des dialektischen und historischen Materialismus auf. Das Konzept der Tätigkeit im dialektischen Materialismus versucht die Spaltung von Materie und Geist aufzuheben und das vermittelnde Element zwischen Subjekt und Objekt, die Tätigkeit, zum Gegenstand der Philosophie und Psychologie zu erheben. Ähnliche Bestrebungen kommen aktuell auch aus dem fernöstlichen Raum nach Europa.
Weiterführende Literatur
In meiner Dissertation habe ich mich sehr intensiv mit verschiedenen Ansätzen der tätigkeitstheoretischen Tradition auseinandergesetzt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede dazwischen aufgezeigt und vor allem gezeigt, was wie Wissen, Wissensfluss und Lernen in Organisationen aus tätigkeitstheoretischer Sicht gesehen wird (Kapitel 8):
Hemmecke, J. (2012). Repertory Grids als Methode zum Explizieren impliziten Wissens in Organisationen: Ein Beitrag zur Methodenentwicklung im Wissensmanagement. Dissertation, Universität Wien. Fakultät für Psychologie.
Erklärung zur Kulturhistorischen Schule bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Kulturhistorische_Schule
Interessante Links zur Originalliteratur
A. N. Leontjew (1982). Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit. Köln. (Online-Version der deutschen Ausgabe; die englische Übersetzung gibt es unter www.marxists.org)
Y. Engeström (1987). Learning by Expanding: An Activity-Theoretical Approach to Developmental Research. Helsinki: Orienta-Konsultit.
C. Dahme & A. Raeithel: Ein tätigkeitstheoretischer Ansatz zur Entwicklung von brauchbarer Software. Informatik-Spektrum 20: 5-12, 1997.
Russische wissenschaftliche Zeitschrift über Psychologie: VOPROSY PSYCHOLOGII (Englische Version)